Marienverehrung im Alltag

Hin- und Zuhören


Mit dem Hinhören und Zuhören wird eine wichtige Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen angesprochen. Üblicherweise gilt das Hinhören für etwas, was man sich mit Interesse anhört, das Zuhören wäre wiederum für solche Dinge gedacht, die man sich bewusst anhört, obwohl sie für den Zuhörer völlig uninteressant sein könnten, z.B. wenn mir jemand seine Probleme schildert, die mich gar nichts angehen. Aus den alltäglichen Erfahrungen ist uns bekannt, dass unser Gehör auf unzählige akustische Anreize von außen reagiert, jedoch nur wenigen von ihnen eine volle Aufmerksamkeit schenkt. Es kommt jeweils darauf an, welchem akustischen Anreiz wir den Vorrang geben. Als Beispiel kann uns ein Handyanruf mitten im lauten Straßenverkehr dienen; wir müssen buchstäblich darum ringen, dass wir die Straßengeräusche verdrängen, um dem Telefongespräch folgen zu können. Dazu kommt noch, dass sich in uns eine innere Reflexion von dem Gehörten her entfaltet, sodass wir letzten Endes drei Hörquellen in uns aktiv verarbeiten müssen, um zu verstehen, was wir eigentlich "gehört" haben und tun sollen. Wenn wir nun die Marienverehrung ausgehend von dieser menschlichen Fähigkeit des Hin- und Zuhörens üben möchten, dann nehmen wir uns etwas Zeit, um die hörende Jungfrau zu betrachten, so wie es uns im Lukasevangelium 1,28-29 überliefert wird: "Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe." In diesen beiden Sätzen wird gesagt, dass Maria einen Gruß vernimmt und sich nach dessen Bedeutung fragt. Das Eintreten des Engels bei Maria muss nicht unbedingt heißen, dass er in ihr Haus zu Besuch kam, sondern es kann auch so verstanden werden, dass dieser Besuch des Boten Gottes sich im Herzen Mariens abgespielt hat. Wichtig ist aber die Haltung Mariens, mit welcher sie diese Botschaft empfängt: Sie hört hin, erschrickt zwar über das Gesagte, aber sie hört trotzdem zu und denkt darüber nach. Wenn sie diesen Gruß nur gehört hätte ohne der Stimme des Engels tatsächlich zuzuhören, so hätte sie sich darüber wahrscheinlich keine Gedanken mehr gemacht. Aber indem sie auch zugehört hat, nimmt sie diesen Gruß persönlich an und versucht den Sinn dieser Worte für sich zu erschließen.

Weil der Mensch, durch sein selektives Hören bedingt, auf das eine hört und das andere überhört, muss man sich die Frage stellen, warum Maria ausgerechnet bei diesen Grußworten hellhörig wurde. Wir schicken hier voraus, dass Maria aus einem Kulturmilieu stammt, wo das Erzählen und das Zuhören sehr intensiv praktiziert wurden. Ein Bestandteil dieser Erzählungen waren prophetische Verheißungen, die das Kommen des Messias ankündigten. In diesem Fall sind die Worte der Propheten Sacharja und Zephaniah interessant: "Juble und freue dich, Tochter Zion; denn siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte - Spruch des Herrn" (Sach 2,14) oder "Juble, Tochter Zion! Jauchze, Israel! Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte" (Zeph 3,14.17). Es sind Worte, die einem geübten Ohr aus dem Gottesvolk Israel nicht fremd waren, denn sie wurden oft genug bei den Gebetsversammlungen im Tempel oder in der Synagoge vorgelesen. So erkennt Maria in den Grußworten des Engels den Widerhall der oben zitierten Prophetenworte und nach einer Nachdenkpause begreift sie, dass Gott durch sie in diese Welt kommen möchte. Das, was Maria auszeichnet, ist ihre Aufmerksamkeit dem Gehörten gegenüber. Es ist nämlich kein Zufall, dass gewisse Erinnerungen oder gehörte Worte in uns ständig wach werden. Sie sind für uns eine Art Botschaft des Engels und wir sollten uns die Frage nach dem "warum?" dieser Botschaft stellen. Die eindeutige Antwort ist aber auch nicht gleich vorhanden, man muss nach ihr suchen. Diese Schwierigkeit mit dem Sinn des Gehörten kennt auch der Psalmist, wenn er meint: " Eines hat Gott gesagt, zweierlei habe ich gehört" (Ps 62,12).

Niemandem bleibt also die Mühe erspart, den Sinn der erhaltenen Botschaft für sich zu erkennen, ohne sich dabei einer Selbsttäuschung preiszugeben, indem man sich irgendeinen Sinn herbeizwingt oder vortäuscht. Der Sinn wäre vielmehr in einem Einklang zu suchen, der sich ergibt, wenn das Gehörte in mir meine innere Stimme oder sogar meine innerste Sehnsucht trifft und sie dann so wachrüttelt, dass ich in ihr meine persönliche Berufung und den zu verwirklichenden Plan Gottes mit mir erkenne. Wenn wir es mit dem Hin- und Zuhören im Alltag so umsetzen, wie es uns Maria vorgelebt hat, dann geben wir Gott bestimmt mehr Anlässe auch uns in seinen Heilsplan einzubinden.

fr. Fero M. Bachorík OSM